Der Zweite Weltkrieg beendete dieses geschäftige Treiben und hinterließ eine Trümmerlandschaft. Der Mauerbau verwandelte die einstige Flaniermeile in eine Sackgasse mit Attraktivitäten, die nur die Subkultur zu schätzen wusste.
Bereits in den 1960er Jahren wurde das Gebiet zwischen Landwehrkanal und Kleistpark zum Sanierungsgebiet erklärt. Die Wohnanlage Pallasseum ersetzte den 1973 abgerissenen Sportpalast. Ursprüngliche Pläne einer behutsamen Sanierung (Entkernung der Innenhöfe, Aufwertung der Wohnungen mit Innentoilette) wichen der Praxis einer Kahlschlagsanierung. Der Berliner Senat beabsichtigte den radikalen Abriss des gründerzeitlichen Baubestandes. Die dann neu zu errichtenden Häuser sollten frei von sein Nachtlokalen, Bordellen und Asylbewerberheimen. Die Hausbesetzerszene verhinderte diese Pläne.
Der Fall der Mauer und die Bebauung des Potsdamer Platzes galten als Hoffnungsstrahl für Aufwertung und Neubelebung der Straße und ließen neue Entwicklungsperspektiven entstehen. Doch während der Potsdamer Platz und das Sony Center gestaltet von Stararchitekten wie Renzo Piano und Richard Rogers als Teil des neuen urbanen Berlins in die Höhe schossen, waren die ersten 300 Meter hinter dem Landwehrkanal von zunehmendem Leerstand geprägt und der Rest der Straße weiterhin im Dornröschschlaf gefangen.
1999 wurde das gesamte Gebiet der Potsdamer Straße zum Quartiersmanagementgebiet erklärt. Seitdem sind Gelder in soziale, kulturelle und nachbarschaftliche Projekte geflossen. Im Schöneberger Norden (Bezirk Tempelhof-Schöneberg: Kleistpark bis Kurfürstenstraße ) lag der Schwerpunkt auf der Vernetzung der Nachbarschaften, der Schaffung eines stabilen sozialen Biotops. In Tiergarten-Süd (Bezirk Mitte: Kurfürstenstraße bis Landwehrkanal) besann man sich neben diesen Aufgaben auf die künstlerischen Impulse der früheren Jahren.
Quartiersmanagement, Bürgerbeteiligung, Gewerbeinitiativen und soziale Institutionen haben seitdem das Gebiet nach innen und außen erstarken lassen. Vielfalt und tolerantes Nebeneinander aller Menschen, die hier leben und arbeiten, geben der Potsdamer Straße und ihren Seitenarmen ihr besonderes Flair. Während das Publikum des Varietées „Wintergarten“ sich in schicke Klamotten wirft, müssen viele AnwohnerInnen jeden Pfennig zweimal umdrehen. Renommierte Kulturinstitutionen und Medienfirmen arbeiten um die Ecke neben den Damen in der Kurfürstenstraße. Seit 2008 entdecken GaleristInnen das Gebiet für sich neu. Die Potsdamer Straße bleibt laut und hektisch. Tausende Autos befahren täglich die Nord-Süd-Tangente von Schöneberg zum Potsdamer Platz, stauen sich vor Ampeln um dann weiter zu rauschen. In der Potsdamer Straße spiegelt sich die multikulturelle und kosmopolitische Vielfalt Berlins wie in einem Brennglas.
Das bedeutet, dass auch die Aufwertung des Gebietes immer deutlicher wird. Seit circa 2010 hat eine ungebremste Wohnbebauuung die Stadtbrachen verbinden lassen. Von Baugemeinschaften bis zu hochpreisigen Spekulationsobjekten sind alle Formen der Immobilienbranche vertreten. In den letzten 10 Jahren sind mehrere Tausend Menschen neu in das Quartier gezogen. Selbst die günstigsten Miet- bzw Eigentumswohnungen können sich nur Menschen in sicheren Beschäftigungsverhältnissen hier ansiedeln.
Einige wenige engagieren sich in den Bürgerbeteiligungsgremien wie dem Stadtteil-Forum Tiergarten Süd und dem Quartiersrat Schöneberger Norden. Das Dauerthema der Straßenprostitution gewinnt mit steigender Obdachlosigkeit an Schärfe, denn die versteckten Winkel auf den früheren Brachen und die nicht bebauten Straßen in denen der Vollzug unbemerkt in Autos stattfinden konnte, existieren nicht mehr. Bisher halten sich die Stimmen der Verdränger*innen und der Gemeinwohlorientierten noch die Waage.
Auch der Büroneubau beeinflusst das Gebiet. Zur Zeit besonders auffällig sind die Neubauten entlang der Lützowstraße und an der Ecke Potsdamer Straße / Bülowstraße. Internationale Konzerne ziehen dort ein. Die Gewerbemieten haben sich in den letzten 10 Jahren verdreifacht. Doch auch im Altbestand wird saniert. Die 40 Jahre alten selbstverwalteten Jugendzentren potse und drugstore fielen der Verdrängung zum Opfer und haben bisher keine adäquaten Räumlichkeiten für ihre Aktivitäten und ihr Klientel gefunden.
Stand: April 2022